Günter Grass. Künstler der Ungewissheit (Teil 3)

von Harro Zimmermann

Günter Grass. Künstler der Ungewissheit

Geschichten vom Ende des Humanum

Auch die Novelle ‚Katz und Maus’ und besonders der Roman ‚Hundejahre’ nehmen die Problematik des Nazi-Erziehungs-, bzw. Vernichtungswahns auf. Die ‚Hundejahre‘, dieses „literarische Ungeheuer“, beschwören Warnbilder vor der universalen Gewaltnatur der humanen Gattung herauf. Radikal inkarniert erscheint sie in der Stigmatisierung des Juden zum Musterfall einer kalkuliert konstruierten Abnormität. Das scheuchenhafte Prinzip des Jüdischseins ist in den ‚Hundejahren’ immer wieder Thema, dräuend steht das KZ Stutthof mit seinem Knochenberg im Hintergrund der Danziger Szenerie, bis in alle Poren des Alltags durchzieht brauner Todesdunst, der Odem von Verfall und Verderben die Welt der Grass‘schen Protagonisten. In der Freundschafts- und Gewaltbeziehung zwischen Eduard Amsel und Walter Matern reflektiert der Roman die „negative Symbiose“ zwischen Juden und Deutschen. Und provokant wendet er sich gegen jenes Seins- und Schicksals-Geraune der Nachkriegszeit, dem die Nazi-Mythen und ihre Nebelwörter in Gestalt des Heidegger-Jargons immer noch ablauschbar seien. Auf den Hund gekommen scheint die Vernunft einer Zivilisation, die Auschwitz nicht zu verhindern vermochte, das Hervortreten von Vertierung und wölfischer Brutalität ist dem Erzählgeschehen als Sinnzeichen des immer noch Gegenwärtigen eingeschrieben. Die jüdische Rezeption hat das seinerzeit mit Anerkennung wahrgenommen.

Doch mancher deutsche Zeitgenosse befürchtet damals, das Erzählwerk des Günter Grass könnte dem Beschweigen von Nazi-Wahn und Judenmord ein allzu jähes Ende bereiten. Der Holocaust und kein Schlussstrich unter die Historie der nationalen Schmach? Die verflochtene Motivgeschichte der Schuldandeutung und Schuldverlarvung, des Scham-Diskurses in der  Grass‘schen Werk-Evolution ist so evident wie unbekannt, bzw. immer wieder verzerrt wahrgenommen worden. Schon in der ‚Blechtrommel’ erscheint die Narrenkappe als Tarnkappe des Autors, aber noch bleibt alles verkapselt […]: schamvoll Verschlucktes, Heimlichkeiten in wechselnder Verkleidung.

In ‚Katz und Maus’ tritt seine verbohrte Nazi-Obsession in ein kritisches Licht, in den ‚Hundejahren’ wird seine Ahnungslosigkeit vor dem Ungeheuerlichen der braunen Animalität erkennbar, und im ‚Tagebuch einer Schnecke’ erkundet er das Schicksal der Danziger Juden, das ihm als Jugendlichem keinen Gedanken wert gewesen ist. An der Figur des einstigen SS-Mannes Manfred Augst entwickelt Grass eine Art Gegenfiktion zur eigenen Biographie. So wie der Erlösungs- und Kollektiv-Hysteriker Augst hätte auch er nach 1945 um den politischen Verstand kommen können. Abermals legt der Schriftsteller ein verlarvtes Bekenntnis zum eigenen Versagen ab, er ist selbstbewusst genug, darin ein Memento gegen die ideologische Radikalisierung der 68er Studenten zu sehen.

Von hier aus lassen sich Linien ziehen bis zur Frankfurter Poetik-Vorlesung ‚Schreiben nach Auschwitz’ (1990) und zu ‚Beim Häuten der Zwiebel’ (2006). Allenthalben geht es um die Fatalität moralischer und ideologischer Korrumpierbarkeit, die eigene Schuld und ihr Verschweigen entwickeln sich für den Dichter am Ende zu einer Art Ur-Szene der prekären deutschen ‚Vergangenheitsbewältigung’. Nach dem Eingeständnis seiner Waffen-SS-Beteiligung sollte die öffentliche Wahrnehmung des Günter Grass abgründiger werden, man erkennt damals die subjektive Brüchigkeit einer (politischen) Moralinstanz, jenes schreib-energetische Scham-Geheimnis des Blechtrommlers, aber das Gros der Deutschen hat ihm sein langes Schweigen nicht wirklich übelgenommen.

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Aus dem Buchcover der Novelle „Katz und Maus“